„Wo man Bücher verbrennt, da verbrennt man später auch Menschen“

Diese düstere Vorahnung schrieb Heinrich Heine 1821 nieder. Sie bewahrheitete sich grausam, als in Deutschland fünf Jahre nach der Bücherverbrennung die Synagogen in Flammen standen und dann wenige Jahre später die Krematorien der Vernichtungslager Millionen Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma zu Asche werden ließen.

Am 10. Mai 1933 verbrannten die Nationalsozialisten auf öffentlichen Scheiterhaufen tausende Werke der deutschen Literatur und Wissenschaft. Zur Erinnerung an diese Barbarei veranstalteten „Unser Oberberg ist bunt, nicht braun!“ und die Mayersche Buchhandlung (Gummersbach) gemeinsam eine Lesung von Autorinnen und Autoren, deren Werke am 10. Mai 1933 als „Undeutscher Geist“ verbrannt wurden.

Das Programm der Lesung umspannte ein breites Spektrum von Joachim Ringelnatz zu Nelly Sachs, von Sigmund Freud zu Bertolt Brecht, es sollte einen Eindruck davon vermitteln, wie viel Kultur die NS-Regierung den Deutschen vorenthalten wollte.

Geplant war die Veranstaltung als „Open-Air-Lesung“ auf der Kaiserstraße in Gummersbach. Weil das Wetter das nicht zuließ, wurde die Lesung kurzfristig in die Buchhandlung verlegt. Dort wurde es eng, denn das Interesse war groß.

Nach einer kurzen Begrüßung durch Kristina Oberlinger von der Mayerschen Buchhandlung und Gerhard Jenders von „Unser Oberberg ist bunt, nicht braun!“ eröffnete Kirsten Wallbaum-Buchholz als Moderatorin die Lesung mit den Worten „Anlässlich des 90.Jahrestages der Bücherverbrennung vom 10.Mai 1933 durch die Nationalsozialisten wollen wir heute den vielen genialen und so wunderbar unbequemen Autor:innen unsere Stimme leihen, sie damit symbolisch aus dem Feuer und in unsere Erinnerung holen und damit auch die Macht ihrer Worte unterstreichen. Es soll für Sie ein Genuss sein, aber auch der Zeigefinger, dass es gilt, das kritische Wort zum Wohle aller zu schützen – gegen die ideologisch und rassistisch motivierte Ignoranz.“ Die Schulleiterin der Gesamtschule Waldbröl ist Germanistin und hatte trotz Abi-Stress gerne zugesagt, die verschiedenen Beiträge der Lesung jeweils einzuleiten: „Jetzt habe ich etwas, auf das ich mich freuen kann!“

Ute Radermacher trug zum Einstieg – und später noch mehrmals zwischen den Beiträgen – ein kurzes Gedicht von Joachim Ringelnatz vor: Den „Avant-propos„.

Stellvertretend für die durch die Nazis verfolgte Wissenschaft wurde Sigmund Freud, der Begründer der Pyschoanalyse, vorgestellt. „Die Nazis haben seine Erkenntnisse, seinen neuen Blick auf den Menschen gar nicht verstanden und sprachen von „seelenzerfasernden Überschätzung des Trieblebens“, als sie seine Werke ins Feuer warfen.“ (Kirsten Wallbaum). Gudrun Martineau las seinen Text „Über den Traum“, den Freud 1901 verfasst hatte (nachzulesen hier, Seite 659-663).

Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs mahnte Kurt Tucholsky immer für den Frieden. Gerd Wilden rezitierte den Text „Die Flecke“ sehr eindrücklich. Die satirisch-humoristische Seite Tucholskys kam mit dem Gedicht „An das Baby“ zum Ausdruck. Tucholsky hatte zum Zeitpunkt der Bücherverbrennung bereits seinen Wohnsitz nach Schweden verlegt, verfolgte aber das Geschehen von Schweden aus. „Wie ein Trachtenverein von Oberlehrern hätte man seine Bücher in Frankfurt auf einem Ochsenkarren zum Richtplatz geschleift“

Bereits am 1.April 1933 werden die Werke von Else Lasker-Schüler in ihrer Heimatstadt Wuppertal dem Feuer übergeben. Ihr bewegtes Leben und ihre ausdrucksstarke Lyrik präsentierte Kristina Oberlinger mit den Gedichten „Heimweh“ , „Weltflucht“ , „Die Verscheuchte“ und „Mein blaues Klavier“ .

Alexandra Kollontaj war Frauenrechtlerin, ihr gelang es, als Ministerin die Stellung der Frauen in der jungen Sowjetunion zu verbessern. Monica Buchfeld schilderte das Leben dieser mutigen Frau und verdeutlichte an Hand von Zitaten deren klare Haltung. Leseempfehlung: „Radikal selbstbestimmt – Was wir von Alexandra Kollontaj lernen können“ von Maria Wiesner, erschienen 2022 im Verlag Harper Collins.

Als Intermezzo trug Ute Radermacher den „Turnermarsch“ von Joachim Ringelnatz vor.

Mascha Kalekos Lyrik schildert die Gesellschaft der 1930er Jahre und ergreift dabei Partei für die Menschen auf der Schattenseite des Lebens. Monika Buchfeld brachte die Gedichte „Kinder reicher Leute„, „Meditation eines Hofsängers“, „Ein kleiner Mann stirbt“ und „Chor der Kriegswaisen“ aus Kalekos „Lyrischem Stenogrammheft“ zu Gehöhr. Im Exil schrieb Mascha Kaleko 1942 die „Nachtgedanken“. (Leider sind die Texte nicht online verfügbar, aber die Buchhandlung hat einen Büchertisch zum Thema aufgebaut.)

1935 schrieb Heinrich Mann im Exil den Aufsatz „Die Deutschen und ihre Juden“, der mit dem Satz beginnt: „Die deutschen Juden werden planmäßig vernichtet, daran ist nicht mehr zu zweifeln.“ Scharfsinnig und mit beißender Kritik analysiert der Autor die „Judengesetzgebung“. Nadine Lindörfer lieh diesem Text ihre Stimme.

Zwei Gedichte von Ringelnatz, wieder von Ute Radermacher dargeboten, lockerten die Atmospäre nach diesem schweren Text: „Ein Pinsel mit talentvollen Borsten“ und „Ein bettelarmer braver Mann

Die spätere Literaturnobelpreisträgerin Nelly Sachs veröffentlichte schon früh Gedichte und Texte, mit denen sie sich bei den Nazis unbeliebt machte. Iris Traudisch las aus den Gedichten, aus dem Briefwechsel zwischen Paul Celan und Nelly Sachs und dem „Chor der Geretteten„. Iris Traudisch betonte auch die Verantwortung der heutigen Generation der „Geretteten“, die Krieg und Faschismus nicht erlebt hat, für die Menschen, die heute weltweit unter Verfolgung und Not leiden.

Erich Kästner ist sicherlich einer der bekanntesten Autoren, deren Werke den Flammen zum Opfer fielen. „Es war sein Roman „Fabian“, den man ins Feuer geworfen hat, Erich Kästner ging am 10.Mai 1933 selber hin, um dem Hass-Ritual beizuwohnen. Er wurde unter den Leuten auch erkannt, aber fand den Mut nicht, gegen die zündelnden Studenten anzuschreien.“ (Kirsten Wallbaum) Lutz Schnitzler begann seinen Vortrag mit Auszügen aus „Der kleine Grenzverkehr“, einer Schilderung der Absurditäten des Paragrafendschungels. Das berühmte „Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn“ sorgte für Gänsehaut, ebenso wie die „Sachliche Romanze„.

Die Grauen des Krieges schildert Arnold Zweig in seinem Roman „Erziehung vor Verdun„. Der erste Abschnitt, den Axel Krieger eindrucksvoll präsentierte, endet mit dem Satz „Nur im Hinterland, das in den Etappen beginnt, sind auf beiden Seiten eine Menge Leute bestrebt, Hass und Wut anzustacheln, damit die Kriegsmüdigkeit des Menschenmaterials nicht um sich greife.“ Die klare Haltung Arnold Zweigs gegen Krieg und Nationalismus brachte ihm den Hass der Nazis ein.

Dass Ringelnatz auch klare politische Aussagen gegen die Nazis machte, wurde im Text „Wir sind, sagen die Lauen…“ deutlich. Auf Grund des von den NS-Behörden verfügten Auftrittsverbots wurde Ringelnatz mittellos, er starb 1934 an Tuberkulose.

Im Gedicht „Oh Falladah, da du hangest – Ein Pferd klagt an“ warnte Bertolt Brecht schon in den 1920er Jahren vor den verheerenden Folgen von Armut und gesellschaftlicher Kälte. Hannes Adleff rezitierte die Texte von Brecht, nach „Falladah“ „Über die Bezeichnung Emigranten“ und dem „Lied vom Kelch“ (Text hier, Seite 3).

Anna Seghers hat – wie viele deutsche Intellektuelle und Künstler*innen – selber das Schicksal der Emigration ertragen müssen. Sie emigrierte nach Mexiko, kam aber 1947 nach Deutschland erstarkt zurück. Zum 10. Jahrestag der Bücherverbrennung hält Anna Seghers in einer Rede fest: „Dass wir den Jahrestag der Bücherverbrennung feiern, das allein zeigt, dass das verbotene Buch in dem Scheiterhaufen des 10. Mai statt zu Asche zu werden, geglüht und gehärtet wurde zu einer handfesten Waffe im Kampf gegen Hitler.“ (Kirsten Wallbaum) In ihrem Roman „Transit“ schildert Seghers das Leben derer, die auf einen Weg in ein sicheres Land warten. Lucille Jenders las einen Einstieg in das packende Buch. Hier gibt es eine Hörspiel-Fassung

Joachim Ringelnatz meldete sich noch einmal zu Wort mit „Ehrgeiz„. Es geht um eine Straßenbenennung, ein Thema, das gerade in Gummersbach wieder aktuell war.

Zum Abschluss der Lesung kam Hannes Adleff noch einmal mit der „Kinderhymne“ von Brecht ans Mikrofon. „Dieser Text drückt aus, in was für einem Land wir leben möchten“ sagte Organisatorin Gudrun Martineau in ihrem Schlusswort.

1. Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.

2. Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

3. Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

4. Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und das Liebste mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.

Quelle: https://www.deutschelyrik.de/kinderhymne-1950.html