NRW-Versammlungsgesetz-Entwurf darf so nicht durchkommen!

Viele werden noch das Bild des damaligen Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse kennen , als er von 10 Jahren einen Nazi-Aufmarsch blockierte. Wenn es nach dem Gesetzentwurf der NRW-Landesregierung für ein Versammlungsgesetz geht, wäre er ein Straftäter!

Hier ist der nachfolgende Text unserer Stellungnahme zum Gesetzentwurf als pdf

Im Landtag hat Innenminister Reul einen Entwurf für ein Versammlungsgesetz vorgelegt, das den Kampf gegen Rechts erschwert.

In § 4 (Veranstaltung einer Versammlung) kommt der erste Hammer: Wer eine Versammlung anmeldet, muss seinen Namen öffentlich bekannt machen:

Wer zu einer Versammlung einlädt oder die Versammlung nach § 10 anzeigt oder deren Zulassung nach § 20 Absatz 2 beantragt, veranstaltet eine Versammlung. In der Einladung zu einer öffentlichen Versammlung ist der Name der Veranstalterin oder des Veranstalters anzugeben.“

Die bisherige Praxis ist, dass zwar auf Flugblättern eine Person angegeben werden muss, die „verantwortlich im Sinne des Presserechts“ ist. Das muss aber nicht unbedingt jemand sein, der vor Ort aktiv ist, es kann z.B. auch die Landesprecherin einer Organisation sein (deren Name schon in der Öffentlichkeit bekannt ist). Für eine Kundgebung macht natürlich jemand vor Ort die Absprachen mit den örtlichen Behörden. Die Erfahrung zeigt: Es kann gefährlich werden, wenn die Namen der lokalen Aktivisten den Rechtsextremen bekannt werden. Doch genau das wäre die Folge von § 4, denn unter dem Aufruf zu einer Demonstration oder Kundgebung muss in Zukunft der Name der Person stehen, die sie bei der Polizei anmeldet.

In § 7 (Störungsverbot) werden auch Nazi-Kundgebungen unter Schutz gestellt:

(1) Es ist verboten, eine Versammlung mit dem Ziel zu stören, diese zu behindern oder zu vereiteln.

(2) Nach Absatz 1 ist insbesondere verboten,

1. in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen zu behindern oder zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vorzunehmen oder anzudrohen oder Störungen zu verursachen,

2. in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen zu verhindern oder ihre Durchführung zu vereiteln oder wesentlich zu erschweren, Handlungen vorzunehmen, die auf die Förderung von in Nummer 1 beschriebenen Handlungen gegen bevorstehende Versammlungen gerichtet sind …“

Was heißt das konkret? Wenn Nazis einen Aufmarsch machen, dürfen wir sie nicht dabei stören. Das könnte ja ihre Versammlung behindern. Eine Sitzblockade, die einen Nazi-Aufmarsch stoppen soll, ein Pfeifkonzert während einer Rede von AfD-Hetzern – das soll nach dem Willen des Innenministers Reul jetzt als Straftat geahndet.

In § 27 (Straftaten)steht

(4) Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen zu behindern oder zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Die Einstufung als Straftat bedeutet auch, dass die Polizei z.B. eine Sitzblockade nicht mehr stillschweigend dulden darf, sie muss einschreiten. Und wenn der AfD-Redner sich von Buh-Rufen grob gestört fühlt, werden die Protestierenden zu Straftätern.

In der Begründung wird zusätzlich klargestellt:

‚Probeblockaden‘ bzw. ‚Blockadetrainings‘ verstoßen gegen das Störungsverbot und sind damit rechtswidrig.“

Schon die Vorbereitung auf die Blockade eines Nazi-Aufmarschs oder eines Atommüll-Transports wird also unter Strafe gestellt.

In § 17 (Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot) soll sichergestellt werden, dass die Protestierenden auch erfasst werden:

(1) Es ist verboten, bei oder im Zusammenhang mit einer Versammlung unter freiem Himmel oder einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel Gegenstände am Körper zu tragen oder mit sich zu führen,

1. die zur Identitätsverschleierung geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet sind, eine zu Zwecken der Verfolgung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit durchgeführte Feststellung der Identität zu verhindern,…“

Wenn ich also bei kühler Witterung einen Schal trage, dann könnte ich mir den ja vor’s Gesicht ziehen, um meine „Identität zu verschleiern“. Wer entscheidet, ob ich ihn mit der Absicht trage? Der kontrollierende Polizeibeamte? Der könnte mich nämlich an einer „Kontrollstelle“ schon im Vorfeld durchsuchen:

§ 15 (Kontrollstellen) legt fest:

Die Polizei kann Personen und Sachen durchsuchen und die Identität einer Person feststellen an einer Kontrollstelle, die von ihr eingerichtet worden ist, um eine Straftat nach § 27 Absatz 4, 5 und 7 zu verhüten“

Absatz 4 stellt das Störungsverbot unter Strafe, Absatz 5 das Mitführen von Waffen und Absatz 7 die „Identitätsverschleierung“. Die Strafandrohung ist immer gleich.

Ein merkwürdiger Paragraf ist § 18 (Militanzverbot)

(1) Es ist verboten, eine Versammlung unter freiem Himmel oder eine sonstige öffentliche Veranstaltung unter freiem Himmel zu veranstalten, zu leiten oder an ihr teilzunehmen, wenn diese infolge des äußeren Erscheinungsbildes

1. durch das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken,

2. durch ein paramilitärisches Auftreten oder

3. in vergleichbarer Weise

Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt.“

Klingt zunächst mal nicht falsch – Nazi-Aufmärsche in Uniform will doch niemand.

Doch ein Blick in die Begründung zeigt, dass es nicht nur darum geht:

Als Beispiel mag auf uniformierte rechts- oder linksextremistische Verbände in der Weimarer Republik wie die SA, die SS und ihre Untergliederungen verwiesen werden. In heutiger Zeit sind der sog. „Schwarze Block“ linksradikaler Störer und Täter oder neonazistische Gruppierungen zu nennen. Das Ensemble aus gleichartiger – meist schwarzer, aber zunehmend auch andersfarbiger – Kleidung, etwa auch gleichfarbiger Overalls (wie bei den Garzweiler-Demonstrationen im Sommer 2019), dazu bei den Rechtsextremisten Springerstiefel mit gleichfarbigen Schnürsenkeln …“

Es geht also auch explizit gegen AntifaschistInnen und gegen Menschen, die sich für den Klimaschutz engagieren!

Dieser Abschnitt aus der Begründung zeigt auch, welche Haltung hinter dem Gesetzentwurf steckt: Konsequent werden Nazis und ihre Gegner gleichgesetzt. So ist an anderer Stelle der Begründung von „ ‚Saalschlachten‘ der Weimarer Republik der Nationalsozialisten und Kommunisten“ die Rede. Das ist die absurde „Hufeisen-Theorie“, die Täter und Opfer auf eine Stufe stellt.

Dieser kleine Abschnitt der Begründung (die insgesamt über 50 Seiten lang ist) enthält zwei sachliche Fehler: Auch die Sozialdemokraten vom „Reichsbanner“, die sich gegen die SA zur Wehr setzten, waren uniformiert – zählen die etwa zu den „linksextremistischen Verbänden“?

Und Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln als Erkennungszeichen der Neonazis – das ist 20 Jahre her. Wer das heute noch anführt, hat wohl lange geschlafen.

Wo bleibt das Positive?

Ja, es gibt einen einzigen, ansatzweise positiven Aspekt: Nazi-Kundgebungen, die z.B. am 9. November die NS-Diktatur verharmlosen, können verboten oder aufgelöst werden. In § 19 heißt es:

Die zuständige Behörde kann die Durchführung einer Versammlung unter freiem Himmel beschränken oder verbieten, die Versammlung nach deren Beginn auch auflösen, wenn

1. die Versammlung an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- oder Willkürherrschaft erinnert, oder an einem Tag stattfindet, der zum Gedenken an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft bestimmt ist, und

2. nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die unmittelbare Gefahr besteht, dass durch die Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt und dadurch der öffentliche Friede gestört wird.

Leider nur „kann“ – es liegt im Ermessen der Behörde, ob die Nazis aufmarschieren dürfen.

Insgesamt muss man wohl sagen: Was die Landesregierung da vorlegt, ist für diejenigen, die sich für die Demokratie und gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze engagieren, eine Gefahr.

Wir müssen jetzt deutlich unsere Meinung dazu äußern, bevor es zu spät ist!

Die erste Lesung dieses Gesetzes hat ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag, am 27. Januar 2021, stattgefunden. Den aktuellen Beratungsstand und den kompletten Gesetzentwurf kann man auf der Internetseite des Landtags nachlesen.